Investitionen für den Vogelsberg

Der Vogelsberg ist ein herrliches Wandergebiet: sanfte Hügel, sattgrüne Täler. Die Ausblicke sind fantastisch. Wer hier wohnt, ist heimatverbunden. Und stolz darauf. Im Interview erzählt Edwin Schneider, der von 2011 bis 2023 Bürgermeister der Stadt Ulrichstein war, warum das nicht immer so war und wie die Windenergie für neuen Schwung sorgte.

Der Windpark Ulrichstein war 1995 der erste kommunale Bürgerwindpark Deutschlands. Wie war damals die Stimmung gegenüber der Windenergie?

»Mein Vorgänger Erwin Horst war ein weitsichtiger Mann, denn er hat die Ulrichsteiner Bürger*innen rechtzeitig in die Planung der Windparks eingebunden. Jeder konnte sich über das Projektvorhaben informieren und daran beteiligen. Daher war die Akzeptanz in unserer Gemeinde sehr hoch. Allen war klar: Die Einnahmen aus den Windenergieanlagen (WEA) werden langfristig  die Schuldenlast senken.«

2018 litt Ulrichstein unter massiver Trockenheit, Wasser wurde zum teuren Gut. Was war da los?

»Damals mussten wir ein halbes Jahr lang täglich 60 Kubikmeter Wasser mit Tanklastern nach Ulrichstein transportieren lassen. Kostenpunkt 60.000 Euro. Wir wussten: So geht es nicht weiter. Also errichteten wir einen Brunnen. Dafür mussten wir 200 Meter in die Tiefe bohren. Kostenpunkt: eine Million Euro, für rund 1.000 Einwohner (Kernstadt, Anm. d. Red.). Der Brunnen ist eine riesige Entlastung und kann den Wassermangel hoffentlich langfristig beheben – leider bezieht das Rhein-Main-Gebiet über ein Drittel seines Trinkwassers aus dem Vogelsberg. Ohne die Einnahmen aus den Windparks hätten wir das »Wasserproblem« finanziell nicht stemmen können.«

Hat es die Akzeptanz für Windenergie gestärkt? 

»Proteste, wie wir sie noch vor sieben Jahren hatten, sind definitiv abgeflaut. Fest steht: Die Defizite, die aufgrund hoher Wasser- und Abwassergebühren entstehen, können wir mittels der Erträge aus dem Windstrom gut ausgleichen. Das haben die Menschen hier begriffen.«

Wie ist die finanzielle Situation derzeit?

»Zum Glück verfügen wir über einen der besten Windstandorte Hessens. Im Binnenland gibt es keinen besseren Standort als das Ulrichsteiner Kreuz. Mein Vorgänger legte fest: Betreiber sollen möglichst ihren Sitz in Ulrichstein haben, damit Gewerbesteuereinnahmen am Standort bleiben. Unsere Gemeinde hat selbst 14 Windenergieanlagen betrieben. Die jährlichen Einnahmen daraus betrugen rund 500.000 Euro. 2020 waren es mit weiteren Pacht- und Steuereinahmen sogar etwas über eine Million. Trotz des Verkaufs der Anlagen Ende 2021 (zugunsten des Repowerings) sind die Erträge auf einem hohen Level geblieben.«

Wo profitierte die Gemeinde von der Windenergie? Haben Sie konkrete Beispiele? 

»Wir konnten in alle zentralen Bereiche investieren: Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Kultur, Natur sowie medizinische Versorgung. Das heißt: Wir haben ein Haus gekauft und aufwendig umgebaut – speziell für die Ansiedlung von Hausärzt*innen – denn wir mussten jahrelang mit nur einem niedergelassenen Arzt auskommen. Außerdem haben wir ein einzigartiges Naturbadebiotop angelegt, neun Dorfgemeinschaftshäuser saniert, einen Brunnen sowie ein Bürgerhaus gebaut und vieles mehr: Alles finanziert mit den Einnahmen aus den Windparks!«