Kleine Investitionen mit großer Wirkung

Auf der thüringischen Saaleplatte fließen die Einnahmen aus der Windenergie direkt in eine Stiftung. Auf diese Weise können gezielt Vereine in den ländlich geprägten Ortsteilen unterstützt werden.

Manchmal braucht es keine großen Investitionen, um einen großen Unterschied zu machen. Manchmal genügt schon ein festes Dach über einer Terrasse. So wie hinter dem ehemaligen Schulhaus in Eckolstädt. Es ist mittlerweile das Dorfgemeinschaftshaus und damit zum sozialen Mittelpunkt des Dorflebens geworden. Hinter dem Haus mit Blick auf Felder und Wiesen finden regelmäßig Veranstaltungen statt. Doch bei Regen und Schnee wurde es dort bisher ungemütlich. Die Saaleplatte-Stiftung finanzierte hier für 8.000 Euro eine solide Überdachung. »Jetzt können wir uns draußen bei Wind und Wetter treffen. Das macht einen Unterschied wie Tag und Nacht«, freut sich Ortsteilbürgermeister Axel Schörning. Zum Weihnachtsmarkt im Winter, zum Singen im Freien, zum Grillen auch bei Regenwetter. Demnächst kommen noch Planen für die Seiten hinzu. Finanziert mit Geld aus der Windenergie.

44 Windenergieanlagen stehen auf der Hochfläche zwischen Saale und Ilm. »Wir sind ein windprädestinierter Standort: viel Wind, wenig Wald und eine Plateaulage«, erklärt Jörg Hammer. Er ist Initiator und Vorsitzender der Saaleplatte-Stiftung. Der 63-Jährige war bereits zu DDR-Zeiten hier Bürgermeister, hat die Wiedervereinigung und den für die Menschen herausfordernden Wandel hautnah miterlebt und mitgestaltet.

Als die Saaleplatte-Stiftung 2015 gegründet wurde, bildeten die neun Ortsteile mit insgesamt knapp 3.000 Einwohnern noch die eigenständige Gemeinde Saaleplatte. Seit Anfang 2020 gehören sie nun verwaltungstechnisch zur Landgemeinde des nahen Kurorts Bad Sulza. Dort leitet Hammer seitdem das Bau- und Ordnungsamt. Einmal in der Woche ist er weiterhin oben auf der Saaleplatte und kümmert sich um »seine« ehemaligen Ortsteile. Hier, im ehemaligen Rathaus der Gemeinde in Unterdorf, hat die Geschäftsstelle der Stiftung ihren Sitz.

Zum Wandel auf der Saalplatte gehört neben den politischen und gesellschaftlichen Veränderungen auch der Einzug der Windenergie in die Gemeinde. Bereits 1992 stand hier das erste Windrad, erzählt Hammer. Es wurde privat von einem Landwirt errichtet. Mit 60 Metern Höhe war es ein Zwerg im Vergleich zu den 270 Meter hohen Anlagen von heute. Zwei Jahre später kaufte die Kommune einen alten Militärstandort und wandelte ihn zu einem Windpark um. Es regte sich Unmut über die großen, weithin sichtbaren Anlagen, die das Landschaftsbild veränderten.

Doch die gute Zusammenarbeit mit dem Betreiber habe die Wogen geglättet, sagt Hammer. »Da ist ein Vertrauensverhältnis entstanden.«

Das Unternehmen bemühte sich von Anfang an um ein konstruktives Miteinander. Es besserte so manche Zufahrtstraße aus, alle profitierten davon.

Weitere Zuwendungen seien nicht möglich gewesen. Also suchte die Gemeinde nach anderen Wegen, die Bevölkerung mit den Windrädern vor ihrer Haustür zu versöhnen. Die Stiftung ist dafür ein gutes Konstrukt. Für den Grundstock zahlten die Agrargenossenschaft Ilm-Saaleplatte und der Betreiber der Windenergieanlagen jeweils 12.500 Euro Kapital ein. Mit diesem Geld kaufte die Stiftung der Gemeinde die Zuwege zu den geplanten Anlagen ab. Sie sind deren wichtigstes Vermögen: Das Recht, diese Wege zu nutzen und dort Leitungen zu verlegen, verpachtet die Stiftung nun an die Betreiber der Windparks bei Wormstedt und Eckolstädt. Diese zahlen dafür jährlich rund 100.000 Euro. Neben diesen Einnahmen verfügt die Stiftung noch über Erbschaften und Pachteinnahmen.

So kamen allein im Jahr 2023 stattliche 132.000 Euro zusammen, mit denen die Saaleplatte-Stiftung Einrichtungen, Vereine und die Infrastruktur in den Dörfern unterstützt. Welche Projekte gefördert werden, entscheidet der Stiftungsrat, dem alle neun Ortsteilbürgermeister angehören. Über sie sollen alle Menschen, die hier wohnen, von den Einnahmen aus der Windenergie profitieren. Hinzu kommen Gewerbesteuereinnahmen von rund 180.000 Euro pro Jahr, die nach Bad Sulza fließen, sowie die Pachteinnahmen, die an jene Landwirt*innen gehen, denen der Boden gehört, auf denen die Windenergieanlagen stehen. Die Gewerbesteuer bessert den kommunalen Haushalt auf und ist nicht zweckgebunden. Das Geld aus der Stiftung kommt dagegen direkt den Dörfern der Saaleplatte und damit allen Bürgerinnen und Bürgern dort zugute. Die Einnahmen, die in die Stiftung und die Gemeindekasse fließen, machen den Deal gerechter. Zu den Geldern aus den Wegerechten und der Gewerbesteuer kommen nun auch noch jene 0,2 Cent, die die Städte und Gemeinden laut §6 EEG je erzeugter Kilowattstunde Strom von den Betreibern erhalten. Allein die bringen ab 2027, wenn dort neue Anlagen stehen, 1,2 Millionen Euro zusätzlich in den Haushalt von Bad Sulza, sagt Jörg Hammer. Da kommt schon ein hübsches Sümmchen zusammen. »Wir finanzieren mit der Windenergie die Infrastruktur des Kurbetriebs in Bad Sulza mit«, sagt Hammer mit einem Lachen.

Die Stiftung hat den Vorteil, dass ihre Einnahmen direkt bei der Bevölkerung ankommen. Auf einer Rundfahrt mit dem Stiftungsbus zeigt Jörg Hammer, wo die Stiftung ihre Gelder konkret einsetzt. Im Kindergarten Eckolstädt wird er von einer lebhaften Gruppe von Jungen und Mädchen freudig begrüßt. Das Gebäude wird gerade saniert, mit dem Geld der Stiftung kaufen die Teams regelmäßig neues Spielzeug oder stemmen Reparaturen. Zwischen 12.000 und 25.000 Euro erhält der Kindergarten jedes Jahr. Der Nachwuchs erstürmt derweil den Minibus der Stiftung und freut sich über den Besuch.

Das Fahrzeug der Saaleplatte-Stiftung ist nicht nur deren Aushängeschild, sondern auch ein weiteres Beispiel für eine überschaubare Investition, die für die Gemeinschaft einen großen Unterschied macht: Vereine und Ehrenamtliche können den Wagen unkompliziert nutzen, er steht in der Garage am ehemaligen Rathaus. Schlüssel und Nutzungsplan liegen im Stiftungsbüro im Ortsteil Unterdorf bereit. Häufig sitzen ehrenamtliche Dorfkümmerer hinter dem Steuer. Sie holen Seniorinnen und Senioren zum Einkaufen ab und unternehmen Ausflüge. Für viele ältere Menschen in den Dörfern ist dies der Höhepunkt der Woche.

Weiter geht es zur Freiwilligen Feuerwehr in Pfuhlsborn, die mit Stiftungsmitteln ein neues Dach bekommen hat, zum renovierten Glockenhaus und schließlich zum umgebauten Jugendclub Hermstedt. »220 Einwohner, 42 Kinder und 24 Hunde«, stellt der Ortsteilbürgermeister Michael Raudies mit einem Lachen vor. Er steht im gepflasterten Hof eines aufwändig sanierten Gebäudes. Mit 15.000 Euro aus der Stiftung wurde hier ein großer Raum gemütlich zum Treffpunkt umgebaut: Eine Sitzecke mit großem Fernseher für Fußballabende, ein großer Tisch zum Feiern und Kartenspielen, eine Theke und eine Dartscheibe für das Feierabendbier in geselliger Runde. Gleich um die Ecke an der Straße zeigt Hammer später auf eine alte Telefonzelle, die zur Minibibliothek umgebaut wurde, am Wegesrand stehen noch Tische und Bänke vom Dorffest am vergangenen Wochenende. Alles Initiativen, in die das Geld der Stiftung fließt.

Diese Zuschüsse fördern nicht nur das soziale Leben vor Ort, sondern auch dabei, dass die Menschen hier der Windenergie aufgeschlossener gegenüber stehen. Zu den bestehenden 44 Anlagen sind 30 weitere,  noch größere, in Planung. Das bringe neue Herausforderungen für die Kommunikation mit sich, sagt Hammer. »Wir haben als Kommune keinen Einfluss darauf, ob wir Vorranggebiet sind.« Die windbegünstigte Saaleplatte ist ein idealer Standort. Sie muss an Flächen ausgleichen, was anderorts in Thüringen aus verschiedenen Gründen nicht möglich ist. Wegen suboptimaler Windverhältnisse, der Nähe zum Flughafen oder auch zu Kulturstandorten wie Weimar. »Damit müssen wir leben«, sagt Hammer pragmatisch, auch wenn er es für überzogen hält. Als Kind der Saaleplatte ist er ein verständiger Vermittler zwischen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und den Bedürfnissen der Bevölkerung.

Jörg Hammer weiß: Je mehr die Menschen vor Ort die Vorteile der Windenergieanlagen direkt spüren und von ihnen profitieren, desto leichter sind sie zu vermitteln. Bad Sulza plant gemeinsam mit Jena die Gründung eigener Stadtwerke und auch die Stiftung könnte sich als Kommanditist direkt an Windenergieanlagen beteiligen. Der hier erzeugte Strom könnte dann direkt und günstig an die Bevölkerung fließen. Und aus ihm könnte Wärme für die Thermalbäder in Bad Sulza produziert werden. Doch Geld ist natürlich nicht alles. Über all dem steht die Vision einer klimaneutralen und sauberen Strom- und Wärmeerzeugung. Mindestens 80 Prozent des Stroms muss bis 2030 aus erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne kommen. Für die windreiche Saaleplatte und Bad Sulza liegt in diesem Ziel eine große Chance auf eine Transformation, von der alle profitieren. Jörg Hammer hat eine Vision, wie grüner Strom und Geothermie die Gemeinde unabhängig von Gas und Öl machen können – und wie gleichzeitig mit den Einnahmen aus den Windrädern auch der Wandel in den Dörfern gestaltet werden kann, vom Kindergarten bis zur Seniorenbetreuung.

Für die Zukunft plant die Stiftung den Bau von altersgerechten Tiny Houses für die Seniorinnen und Senioren in den Dörfern: Wer dorthin umzieht, vermacht seinen Hof oder sein Haus der Stiftung, die wiederum die Gebäude renoviert und an junge Familien vermietet. So schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Ältere Menschen auf der Saaleplatte können in ihren Heimatdörfern bleiben – zugleich wird attraktiver Wohnraum für junge Zuzügler geschaffen. Finanziert aus den Erträgen der Windenergie.

Text von Petra Krimphove.