Windenergieanlagen so weit das Auge blickt ‒ und man blickt weit an der Nordseeküste in Schleswig-Holstein. Hier in Nordfriesland weht der Wind so kräftig und häufig wie sonst kaum irgendwo in Deutschland. Bürgerwindparks sorgen dafür, dass die Einnahmen aus der Windenergie unmittelbar den Menschen in den Gemeinden zugutekommen. Sie profieren als Anteilseigner der Anlagen direkt von deren Erträgen.
95 Prozent der Windparks in Nordfriesland befinden sich in Bürgerhand. „Wir sind eine Modellregion“, sagt Wolfgang Stapelfeldt, „Bürgerwindparks sind eine nordfriesische Spezialität.“ Im Landkreis Nordfriesland stehen aktuell 800 Windenergieanlagen.
Der Nordfriese war früher Landwirt mit Nebeneinkünften aus einer Versicherungsagentur. Vor einigen Jahren verkleinerte er die Landwirtschaft und setzt nun ganz auf die Windenergie. Seit 2012 ist er einer der fünf Geschäftsführer der mittlerweile zwei Bürgerwindparks in Emmelsbüll-Horsbüll und hat an deren Planung und Realisierung mitgewirkt. Als Vorsitzender des Landesvorstands des BWE macht er sich in Schleswig-Holstein für die Windenergie stark.
Mit guten Argumenten: Nordfriesland gehört zu den zehn Prozent der besten deutschen Standorte für Windenergie. Die hier laufenden Anlagen erzeugen zuverlässig grünen Strom und bringen gute Renditen. Für den gelernten Landwirtschaftsmeister Wolfgang Stapelfeldt ist die Windenergie zu einer Haupteinnahmequelle geworden. In einem neu gebauten Bürotrakt ist neben der Versicherungsvertretung, die er ebenfalls betreibt, die Verwaltung der beiden Bürgerwindparks Emmelsbüll-Horsbüll untergebracht. Das Besondere an diesem Modell: Die Erträge fließen nicht an Investoren ohne Bezug zur Region: Nur jene, die in der Gemeinde wohnen, jene, die mit den Anlagen vor der Haustür leben, haben die Möglichkeit, sich an den Windenergieanlagen zu beteiligen. 1.000 Bürgerinnen und Bürger der Gemeinde, ein Großteil der dort lebenden Menschen, haben Anteile gezeichnet. Die Windparks gehören also ihnen.
Jede und jeder im Ort konnte in einem Runden-Verfahren Anteile zu jeweils 500 Euro erwerben. „So hatten alle die gleichen Chancen, vom Rentner bis zum Zahnarzt“, sagt Wolfgang Stapelfeldt. Als Kommanditisten investieren sie Geld in die Windenergie und haften mit ihrer Einlage - wobei sich die Windenergie dank bester Renditen bisher als äußerst sichere Bank erwiesen hat. Zwischen 3.000 und 16.000 Euro haben die Kommanditisten investiert. Alle entscheiden gemeinsam über Ausbau und Repowering, alle profitieren von den Ausschüttungen. „Bürgerwindparks sind Demokratie par excellence“, sagt Ernst Ludwig von Schwichow, der die Idee von Anfang an mit vorangetrieben hat.
Für Emmelsbüll-Horsbüll hat sich die Windenergie als Segen erwiesen. Der kleine Ort liegt nahe der Küste, rund zehn Kilometer nordwestlich von Niebüll entfernt. Niebüll kennen viele, weil hier die Fahrzeuge für die Zugfahrt über den Hindenburgdamm nach Sylt verladen werden. Es ist ein quicklebendiges kleines Städtchen, Emmelsbüll-Horsbüll drohte hingegen auszubluten, erzählt Stapelfeldt. Außer einem kleinen Hofladen gibt es hier keine Infrastruktur mehr, keine Kneipe, kein Restaurant. Der Jobmotor Tourismus läuft in erster Linie auf den Inseln, auf Sylt, Föhr und Amrum. 3.000 Menschen pendeln jeden Tag zum Arbeiten vom Festland allein nach Sylt.
Die Bürgerwindparks haben der kleinen Gemeinde zu neuem Aufschwung verholfen. Denn sie füllen auch die Gewerbesteuerkassen der Kommunen und Ämter. Bis vor nicht allzu langer Zeit waren nordfriesische Gemeinden wie Emmelsbüll-Horsbüll auf Zuschüsse aus der Landeshauptstadt Kiel angewiesen. „Wir waren hier oben wirtschaftlich abgehängt“, erinnert sich Wolfgang Stapelfeldt. Nun konnten dank der Einnahmen aus der Gewerbesteuer unter anderem Infrastrukturprojekte wie Straßenbau und der Ausbau von Glasfasernetzen vorangetrieben werden. „Die Windkraft hat uns Wertschöpfung gebracht.“
Das gilt nicht nur für die Gemeinden, sondern auch für jene Landwirt*innen, die ‒ anders als er ‒ ihre Betriebe noch voll bewirtschaften. Möglich sei dies häufig nur, weil sie zusätzliche Einnahmen aus der Windenergie, PV und Biogas erzielen: Durch die Verpachtung ihrer Flächen, über Ausgleichszahlungen und durch ihre Anteile an den Bürgerwindparks. In Zeiten sinkender Erzeugerpreise halten diese Zusatzeinnahmen die nordfriesischen Höfe am Leben. „Die erneuerbaren Energien sind eine wichtige Diversifizierung und ein bedeutendes Standbein geworden.“, sagt von Schwichow.
Er steht mit Wolfgang Stapelfeldt am Fuße einer der mächtigen Anlagen des Bürgerwindparks Emmelsbüll-Horsbüll und freut sich über den kräftigen Wind, der die Flügel an diesem Tag rotieren lässt. Im Jahr 2014 wurden die ersten Anlagen errichtet, 2016 folgte eine zweite Runde mit drei weiteren Windrädern. Zwölf Türme umfassen die beiden Bürgerwindparks Emmelsbüll-Horsbüll mittlerweile. Sie erzeugen neun Millionen Kilowattstunden Strom pro Anlage und decken damit den Bedarf von 3.000 Haushalten.
Die beiden Männer wissen, dass es die Energiewende befördert und Hindernisse aus dem Weg räumt, wenn die Menschen vor Ort den Nutzen der Windräder direkt spüren und für Einschränkungen entschädigt werden. So gilt für die Windparks von Emmelsbüll-Hörsbüll zusätzlich eine Nachbarschaftsregelung: Unter jenen, die im Umkreis von 800 Metern rund um die Anlagen wohnen, werden 0,75 Prozent der Umsätze aufgeteilt. Jedes Haus erhält eine drei- bis vierstellige Summe jährlich. Die breite Verteilung der Einnahmen über Anteile und Ausgleichszahlungen garantiert den sozialen Frieden und sorgt für eine breite Akzeptanz der hohen Türme. „Es gibt hier keinen Widerstand gegen die Windkraftanlagen“, sagt Wolfgang Stapelfeldt.
Ernst Ludwig von Schwichow hatte bei der Gründung der Bürgerwindparks zudem die Idee, über eine Bürgerstiftung Projekte in der Gemeinde zu fördern. Also fließen 1,2 Prozent der Umsätze auf freiwilliger Basis in die Bürgerstiftung Emmelsbüll-Horsbüll. Im Stiftungsrat sitzen je drei Vertreter der Windenergiebetreiber und der Kommune. Privatpersonen und Organisationen von der Schule bis zur Feuerwehr können Anträge an den Stiftungsrat stellen und sich um eine Förderung bewerben.
In der Kita Nordwind finanziert die Bürgerstiftung das Mittagessen für alle 46 Kinder. Leiterin Christine Paulsen ist begeistert über die Chance, allen eine gesunde und gemeinsame Mahlzeit zu garantieren. Manch einer hätte sich das sonst nicht leisten können. „Die Eltern sparen rund 800 Euro im Jahr“, sagt sie. Das sei eine Menge Geld für viele und eine tolle Sache. Entspannt sitzen die Kleinen rund um die Tische in dem Raum „Futterkrippe“ und holen sich selbständig Nachschlag an dem großen langen Tisch mit den eigens für die Kinder gekürzten Tischbeinen. Heute gibt es rote Beete mit Reis und Hackbällchen.
Die Kita ist seit kurzem in der umgebauten ehemaligen Grundschule zuhause. Hier sind großzügige helle und freundliche Räume nebst einer modernen Küche entstanden. Der Blick schweift durch die großen Fenster ins Grüne. Elf Betreuerinnen kümmern sich um die Jungen und Mädchen zwischen zehn Monaten und sechs Jahren. Auch dieser exzellente Betreuungsschlüssel, von denen Einrichtungen anderorts nur träumen können, sei den durch die Windenergie vollen, kommunalen Kassen zu verdanken, sagt Kita-Leiterin Christine Paulsen. Die Kinder wachsen hier mit den großen Windrädern auf. „Wenn sie zum ersten Mal darunter stehen, ziehen sie noch leicht erschreckt den Kopf ein“, erzählt sie von Ausflügen zu den Giganten. Dann werden sie für die Kinder zum selbstverständlichen Teil des Landschaftsbildes.
Insgesamt vergibt die Stiftung jährlich rund 130.000 Euro an Projekte und Einrichtungen in der Gemeinde. Es sind viele kleine und größere Mosaiksteine: In der Gemeinschaftsschule hat die Stiftung mit 50.000 Euro alle Schülerinnen und Schüler mit einem i-Pad ausgestattet und finanzierte ein Whiteboard, eine elektronische vernetzte Tafel. Eine geförderte Fußgängerbrücke verbindet nun einen beliebten Wanderweg direkt mit dem Strand. Ausflüge ins dänische Legoland für Kinder, eine Ferienfreizeit im Ort für 140 Jungen und Mädchen, Fahrradhelme für den Nachwuchs: Die Liste ist über die Jahre hinweg lang geworden. Kaum jemand hat nicht auf irgendeine Art von der Stiftung profitiert.
Ein Schwerpunkt der Förderung liegt auf Familien. Zur Einschulung und erneut beim Übergang in die weiterführende Schule bekommen die Kinder der Gemeinde von der Bürgerstiftung einen Schulranzen ihrer Wahl geschenkt. In „Knudsens Einkaufswelt“, einem zweistöckigen Kaufhaus in Niebüll, sind etliche Regale mit den mit Dinosauriern, feuerspeienden Monstern und Elfen bedruckten Exemplaren gefüllt. Sabrina Holm und ihre Kinder Stia (10) und Mikkel (8) testen verschiedene Modelle und Muster.„Das ist ein Mega-Los“, freut sich die sympathische Frau aus Emmelsbüll über den Zuschuss. „So ein Ranzen kostet leicht 300 Euro.“ 25 Prozent tragen die Familien selber. Und auch die älteren Generation wird bedacht: Einmal in der Woche holt ein von der Stiftung finanzierter Bus sie zuhause ab und bringt sie zum gemeinsamen Schwimmen am Warmbadetag ins Niebüller Hallenbad. „Für viele“, sagt Wolfgang Stapelfeldt, „ist das ein Höhepunkt der Woche“.
Nicht zuletzt hat die Windenergie neue Jobs in das strukturschwache Nordfriesland gebracht. „Allein in der örtlichen VR Bank Nord eG-Filiale in Niebüll sind 17 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen nur mit der Finanzierung von Windenergieanlagen beschäftigt. 36 Prozent des Kreditvolumens gehen in die erneuerbaren Energien“, erzählt Wolfgang Stapelfeldt. Es summiert sich: Lokale und regionale Unternehmen profitieren von Aufträgen rund um deren Bau, Betrieb und Wartung. Als Folge ziehen neue Bürger in die Gemeinde, bauen Häuser und schicken ihre Kinder in Kitas und Schulen. Das Leben kehrt in die Dörfer zurück. Das neue Dorfgemeinschaftshaus, das die Stiftung mit 250.000 angesparten Euro unterstützte, ist da ein wichtiger Anker des Zusammenlebens. Die Region ist sehr ländlich geprägt, Hamburg als nächste Großstadt über zweieinhalb Stunden entfernt. Insofern müssen die Gemeinden schon selbst für Angebote und Abwechslung sorgen, um auch für Zuzügler attraktiv zu sein und die Abwanderung zu stoppen.
„Die Windkraft ist zum Erfolgsmotor der Region geworden. Jeder will nun ein Stück vom Kuchen. Je mehr eines abbekommen, desto größer ist die Akzeptanz.“, sagt von Schwichow. In Emmelsbüll-Horsbüll befürworten viele einen weiteren Ausbau der Bürgerwindparks und das Repowering der Windenergieanlagen ‒ auch, um durch eine Beteiligung von deren finanziellen Erträgen zu profitieren. Dieses Rezept hat sich in Nordfriesland bewährt.
Text von Petra Krimphove.