Leisnig verbindet Tradition und Innovation: Bürgermeister Carsten Graf setzt auf Windenergie und kommunale Projekte, um die Stadt zukunftsfähig zu machen. Graf bleibt optimistisch und plädiert für gemeinsames Handeln.
Eine Blaupause für andere Orte sei Leisnig nicht unbedingt, sagt Bürgermeister Carsten Graf. »Wir haben hier auch einfach Glück.« Der 52-Jährige steht in seinem Amtszimmer im prächtigen Rathaus am Marktplatz der Stadt und zeigt, was dieses Glück ausmacht: eine malerische Altstadt und eine verkehrsgünstige Lage. Leisnig liegt an der A14 zwischen Dresden und Leipzig, weithin sichtbar thront die Burg Mildenstein über der Stadt. Abseits der Altstadt, nahe der Autobahn, stehen 17 Windräder. Das Glück: Der Blick auf die historische Kulisse und der Ausbau Erneuerbarer Energien kommen sich hier nicht in die Quere.
Der energiegeladene Bürgermeister treibt diesen Ausbau aus Überzeugung mit Begeisterung voran. Seine Botschaft: Windenergie ist kein abgehobenes grünes Projekt aus dem fernen Berlin, sondern eine ökologisch sinnvolle Technologie, die bereits aus den siebziger Jahren stammt und von der alle profitieren. Durch sauberen Strom, durch schrittweise Unabhängigkeit von Öl und Gas und durch Einnahmen, die Leisnigs Infrastruktur auf diesem hohen Niveau erhalten. »Es ist einfach die Zukunft, und die müssen wir gestalten.« Auf einer Karte zeigt er die im Flächennutzungsplan für die Windenergie ausgewiesenen Gebiete. »Wir wären doch dumm, wenn wir Sonne und Wind nicht nutzen«, ist er zutiefst überzeugt.
Nicht nur, weil die Windenergieanlagen gut für das Klima und im cleveren Zusammenspiel eine sichere Energieversorgung sind. Auch finanziell profitiert die Gemeinde von den Einnahmen aus den Windrädern, wie Carsten Graf bei einem Rundgang durch Leisnig zeigt. 6.000 Menschen leben im Ort selbst, 2.000 weitere verteilt in den 40 Ortsteilen.
Erste Station ist das örtliche Freibad, Idylle pur: Im großen Becken ziehen Schwimmer ihre Bahnen, Kinder spielen im Wasser. Es gibt ein Sprungbrett, eine breite Wasserrutsche und große gepflegte Liegewiesen. Am Wochenende kämen sogar Gäste aus Dresden, sagt Graf. Für die Leisniger ist das Schwimmbad ein Stück Lebensqualität.
Graf setzt sich zu der Nachbarsrunde, die sich fast täglich am gemütlichen Kiosk am Beckenrand zum Plausch trifft. Der parteilose Bürgermeister ist ein guter Kommunikator, er versteht es, an der Lebenswelt der Menschen anzudocken. Seit seinem 25. Lebensjahr ist er in der Kommunalpolitik aktiv, viele Jahre auch als Radiomoderator. Graf will den Menschen Lust auf die Zukunft machen, statt aus der Angst vor Veränderungen Kapital zu schlagen. »Wir müssen Mut machen«, so sein Credo.
Die Runde am Freibadkiosk lehnt Windenergie nicht ab, die bestehenden Anlagen entlang der Autobahn seien schon in Ordnung. Aber immer mehr und immer höhere Windräder müssten auch nicht sein, meint einer von ihnen. Die Pipeline Nord Stream 2 und Gas aus Russland könnten den Energiebedarf doch auch decken. Carsten Graf hört zu, wirft ein, dass die Windenergieanlagen wichtige Einnahmen in die Gemeindekasse wehen. Geld, mit dem sich die Kommune auch perspektivisch unter anderem auch dieses Schwimmbad leisten kann. Gleich nebenan, so zeigt er später bei einer Rundfahrt durch den Ort, werden die Turnhalle und das Vereinshaus energetisch saniert, der Sportplatz erhält eine neue Tribüne. Auch hier helfen der Kommune in den nächsten Jahren die Einnahmen aus den Windrädern.
Bürgermeister Graf nimmt die Bedenken der Kritiker ernst, denn nur so kann er versuchen, sie zu entkräften. »Man muss zuhören und herausfinden, ob es ideologische Argumente sind oder ob berechtigte Kritik dahinter steckt.« Kommunikation sei das A und O. »Wir stehen vor der nächsten Industrierevolution und viele Menschen haben Angst vor den Veränderungen.«
Dass es in Leisnig in der Vergangenheit noch keinen ernsthaften Widerstand gegen Windenergie gab, sei auch dem Bürgermeister des mittlerweile eingemeindeten Ortsteils Bockelwitz, Michael Häckel zu verdanken. Der besuchte bereits in den 90er Jahren in Dänemark Windenergieanlagen und trieb anschließend den Bau der ersten Windräder zuhause voran. »Das ging damals geräuschlos«, erzählt Graf. Der erste Schritt war getan. Inzwischen wurden die ersten alten Windräder durch leistungsstärkere und deutlich größere ersetzt.
Graf will nun die Windparks in Leisnig auf zukunftsfähige Füße stellen. Der neue Flächennutzungsplan sieht 18 neue Anlagen vor. Mit insgesamt 120 Megawatt können sie fast fünfmal so viel Strom erzeugen wie die 17 alten Windräder, die sie ersetzen. Neben der Gewerbesteuer summieren sich die 0,2 Cent, die von Seiten der Betreiber pro Kilowattstunde an die angrenzenden Gemeinden fließen, auf bis zu 540.000 Euro im Jahr. Mit diesem Geld können die Freiwillige Feuerwehr, Kitas oder auch Vereine unterstützt werden. Die 0,2 Cent-Regelung helfe sehr beim Werben für die Windenergie, sagt Graf.
Als die jüngste Anlage eingeweiht wurde, gab es zudem ein großes, fröhliches Fest für alle Bürgerinnen und Bürger. Auch um zu zeigen, wie weit sich die Technik entwickelt hat. Ja, die modernen Windenergieanlagen sind größer, aber sie sind auch leiser als ihre Vorgänger. Und auch die Landwirte profitieren: Die Verpachtung ihrer Flächen an die Windenergiebetreiber bringt ihnen mehr als eine landwirtschaftliche Nutzung der Böden. Eine Verpächtergemeinschaft regelt, wer wie viel Geld für die Nutzung der Flächen erhält. Außerdem freuen sich die Landwirt*innen zudem über die gut ausgebauten Zufahrtswege zu den Anlagen, die für große und schwere Fahrzeuge ausgelegt sind.
Zurück zum kommunalen Leben: Für deren Förderung liefert die Windenergie einen wichtigen finanziellen Beitrag, sagt Graf. Im »Kulturbahnhof« unten im Tal der Mulde freut man sich darüber. Im Jahr 2020 hat eine kleine Gruppe von Freunden das alte Bahnhofsgebäude gekauft und seitdem in Eigenregie renoviert. Entstanden ist ein kreativer und unkonventioneller Veranstaltungsort, der auch für die jüngere Bevölkerung attraktiv ist. Mitbetreiber Christoph Schönbeck bespricht gerade mit den Handwerkern die Platzierung der großen Banner für das brasilianische Tanzfestival am kommenden Wochenende.
Unter der Woche sollen hier Freiberufler einen Ort zum Arbeiten finden. Vor wenigen Wochen fand ein Start-up-Festival statt. Graf schwärmt von den frischen Impulsen, die von hier ausgehen. Einrichtungen wie der Kulturbahnhof tragen dazu bei, Leisnig gleichermaßen attraktiv für junge Menschen, Familien und Alteingesessene zu machen – und die Gemeinde so in die Zukunft zu führen. Raus aus den Grabenkämpfen, hinein in eine sachliche Debatte, das wünscht sich Graf für diesen Weg. Doch genau das könnte mit dem neu zusammengesetzten 18-köpfigen Stadtrat schwieriger werden. Seit der Kommunalwahl im Juni 2024 sitzen dort Parteien, die vom sächsischen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft werden. Deren Abkehr von Argumenten und Fakten ist eine Entwicklung, die der parteilose Bürgermeister mit Sorge sieht. Mit Argumenten allein komme man nicht mehr zum Ziel. Inzwischen werden auch wieder Forderungen nach dem Bau von Atomkraftwerken in der Lausitz laut.
Bisher seien alle Windenergiebeschlüsse mit 100-prozentiger Zustimmung der Gemeinderäte gefasst worden, betont Graf. Und doch sei das kein Selbstläufer. Die rechtsextremen Parteien würden die Windenergie am liebsten ganz abschaffen. »Das ist das Spannungsfeld, in dem wir uns bewegen. Noch gibt es keinen Widerstand, aber es gibt Signale im neuen Stadtrat.« Inzwischen helfen ihm Stadt- sowie Ortschaftsräte und überzeugte Mitstreiter dabei, seine Windkraftvision für Leisnig auf kommunaler Ebene voranzutreiben. Ein engagierter Bürgermeister allein kann das nicht stemmen. »So etwas schafft man nur gemeinsam.«
Text von Petra Krimphove.