Wie die Energiewende gelingen kann, zeigen die Menschen im nordrhein-westfälischen Coesfeld. Mit ihrer Eigeninitiative sind sie nicht nur vorbildlich, sondern geradezu einzigartig. Bereits 2011 kamen Landwirte und Grundstückseigentümerinnen aus dem Letter Bruch mit der Idee eines Windparks auf die Stadtwerke und die Stadt Coesfeld zu. Unter Beteiligung der Menschen vor Ort entstand ein Park mit dreizehn Anlagen, der den Strombedarf der Einwohnerinnen und Einwohnern mehr als abdeckt. Ein Teil der Gewinne fließt in die Bürgerstiftung Coesfeld und wird für gemeinnützige Projekte der Bürgerstiftung verwendet.
„Keine Sorge, wir sind keine lauten Rüpel, sondern ganz zuverlässige Zeitgenossen.“ Mit diesen Worten stellten sich die neuen Windenergieanlagen im September 2020 in einer Broschüre den Anwohnenden von Coesfeld vor. Beworben wird darin neben dem Klimaschutz auch die Möglichkeit der finanziellen Beteiligung für Bürgerinnen und Bürger mit Erst- oder Zweitwohnsitz in der Gemeinde Coesfeld. Ab 500 Euro ist man dabei. Über 400 Bürgerinnen und Bürger nutzten die Gelegenheit und profitieren so langfristig finanziell vom regionalen Windstrom durch eine jährliche Rendite.
Neben den investierenden Anwohnenden sowie den Flächeneigentümerinnen und -eigentümern profitiert die ganze Stadt: Pro Kilowattstunde erhält die Stadt Coesfeld 0,2 Cent . Bei 125 Millionen Kilowattstunden sind das 250.000 Euro für die Stadtkasse pro Jahr. Hinzu kommen rund 300 .000 Euro Gewerbesteuer. Auch die an den Windpark angrenzende Stadt Dülmen profitiert von einer finanziellen Beteiligung aus der Windenergie. Die örtlichen Stadtwerke sind zusammen mit den Stadtwerken der Nachbargemeinde Borken direkt an den Einnahmen des Windparks mitbeteiligt und können ihre Einnahmen für niedrigere Energiepreise vor Ort nutzen.
Impulsgebend waren die Landwirtinnen und Flächeneigentümer der Region. Die Stadt Coesfeld hat ihre Impulse aufgegriffen, begleitet und weiterentwickelt. „Die Menschen aus Coesfeld sind Macherinnen und Macher!“ erzählt Eliza Diekmann-Cloppenburg. Die Bürgermeisterin der Stadt Coesfeld begleitet seit 2020 aktiv die Energiewende in der Region . Durch ihre tatkräftige Mentalität und das gute Miteinander aller Akteure und der Betroffenen gestalten die Menschen vor Ort die Energiewende selbst. „Wir haben uns schon früh ein eigenes Regelwerk gegeben und es klar nach außen vertreten“, so Diekmann-Cloppenburg. Dazu zählen eigene Flächenziele und die aktive Ausweisung geeigneter Flächen, aber auch die Befähigung von Flächeneigentümerinnen und -eigentümern, bei der Projektierung gute Bedingungen auszuhandeln. Von vornherein wichtig war die Wertschöpfung vor Ort und der Mehrwert für die Region – für einen Wandel, der alle mitnimmt.
Jährlich fließen Beträge in Höhe von rund 130.000 Euro aus dem Windpark in die Bürgerstiftung Coesfeld. Möglich machen das die Eigentümerinnen und Eigentümer der Flächen, auf denen der Windpark steht: Sie verzichten auf einen Teil ihrer Pacht und finanzieren so die Zahlungen an die Bürgerstiftung. Durchschnittlich werden jedes Jahr 30 Projekte gefördert, darunter die Anschaffung einer hochmodernen Simulationspuppe für das Krankenhaus, die komplette Umgestaltung des Heimatmuseums Lette, die Einrichtung eines aufwändigen Geschichtsweges zur alten Citadelle in Coesfeld, eine Schutzhütte im Außenbereich sowie das Lesepatenprogramm „Mentoring“, für das die Bürgerstiftung die Trägerschaft übernommen hat. Dabei steht Regionalität im Vordergrund: „Uns ist wichtig, Projekte vor Ort zu fördern, damit die Menschen hier direkt etwas davon haben“, erklärt Anna Fiedler, Geschäftsführerin der Bürgerstiftung.
Worauf die Stiftung besonders stolz ist? Dass nun auch größere Projekte überhaupt erst möglich sind, aber auch bestehende Projekte ausgeweitet werden können. Das langjährige Projekt „Soziales Lernen“ beispielsweise richtete sich ursprünglich ausschließlich an Haupt- und Realschulen in Coesfeld. In einem mehrtägigen Seminar trainieren Schülerinnen und Schüler der fünften Klassen unter der Leitung von Sozial- bzw. Erlebnispädagogen in einer besonders geeigneten Jugendbildungsstätte die Stärkung ihrer sozialen Kompetenzen. „Durch die Einnahmen aus dem Windpark konnten wir das Angebot inzwischen auf alle weiterführenden Schulen in Coesfeld erweitern“, freut sich Fiedler. „Das ist eine tolle Sache und wird von den Lehrkräften gut angenommen.“ Tausende Kinder haben bereits daran teilgenommen, eigene Stärken entdeckt und Teamarbeit sowie Konfliktlösung geübt. Mit anderen Worten: fürs Leben gelernt.
Die Akzeptanz für den Windpark war von vornherein groß: „In Coesfeld hatten wir von Anfang an den vollen Rückhalt der Gemeinde und Bevölkerung. Das Vorhaben ist komplett im Konsens geplant und umgesetzt worden, angefangen von der Bürgerschaft, den Landwirten, deren Flächen wir nutzen, bis hin zu der Stadt Coesfeld und den Stadtwerken vor Ort“, so Milan Nitzschke, Geschäftsführer der SL NaturEnergie. Das Unternehmen hat den Windpark mit den örtlichen Beteiligten entwickelt und errichtet. Dieses Vorgehen hat Früchte getragen: Es gab keine einzige Klage gegen den Windpark.
Gemeinsam zeigen die Coesfelder, was möglich ist: Die gesetzlich vorgeschriebenen Flächenziele haben sie übererfüllt. Dabei ist Coesfeld nicht einfach nur ein Positivbeispiel: Mit seiner großen Fachkompetenz im Bereich Windenergie hat sich die Stadt aktiv in die Gesetzgebung zum Bürgerenergiegesetz Nordrhein-Westfalen eingebracht. Coesfeld gestaltet den Wandel von unten mit – für ein ganzes Bundesland! Von Füße hochlegen kann jedoch kaum die Rede sein. Weitere Potenzialflächen sind ausgewiesen. Neben den bestehenden Windenergie-, Biogas- und PV-Anlagen sind eine größere Investition in den Netzausbau und sowie ein Elektrolyseur für grünen Wasserstoff geplant. Coesfeld hat Lust auf mehr – und zeigt, wie’s geht!
Seit 2021 produzieren 13 Windenergieanlagen im Letter Bruch jedes Jahr rund 125 Millionen Kilowattstunden sauberen Strom. Damit wird nicht nur rechnerisch der Bedarf von über 40.000 Haushalten klimaneutral gedeckt, sondern auch 53.000 Tonnen CO2 eingespart. Der Anteil Erneuerbarer Energien am Gesamtstromverbrauch ist in Coesfeld damit auf über 100 Prozent gestiegen.
Text von Kristina Backhaus.